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Linke Intervention und Selbstorganisation in sozialen Kämpfen

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 18.04.2009 20:31
Über 60 Leute trafen sich am 15. April im KATO in Berlin, um mehr über das Verhältnis linker Intervention und Selbstorganisation in Streiks und sozialen Konflikten zu diskutieren. Dabei trafen nicht nur unterschiedliche Protestkulturen aufeinander, sondern es kam auch zu einer Begegung der eher ungewöhnlicher Art: akademisches Prekariat trifft Proletariat. Die Veranstaltung war in jeder Hinsicht ein Experiment - Brücken zwischen getrennten Szenen, sozialen Schichten und politischen Lagern zu schlagen - dass am Ende von TeilnehmerInnen als gelungen eingeschätzt wurde.

Schon die Zusammensetzung des Podiums bot einen interessanten Querschnitt über gemachte Erfahrungen sowohl mit der Selbstorganisation als auch linker Unterstützungsarbeit bei Streiks. Die Transnet-Gewerkschafterin H., nach 12 Jahren als Betriebsrätin inzwischen seit sieben Jahren in ihrer wohlverdienten Rente, aber weiterhin in Transnet aktiv, erzählte von den Schwierigkeiten einer Opposition innerhalb des Bahnkonzern und der Transnet. L, Lokführer und kritischer GDLer, berichtete über die Erfahrungen der KollegInnen beim Eisenbahnerstreik und wie sie auch mit Unterstützung durch linke Gruppen von außen, den Streik zum Leidwesen der GDL-Führung in die eigene Hand genommen haben. F. arbeitet als Organizerin bei ver.di und schilderte zunächst, wie die Gewerkschaften mit Hilfe der aus USA übertragenen Methode des Organizings versuchen, in gewerkschaftsfreien Betrieben bzw. Bereichen Fuss zu fassen. Dass es bei der (Selbst)organisation von KollegInnen, die über keinerlei Kampferfahrungen verfügen, keine schnellen Erfolge gibt, verdeutlichte sie anhand eines konkreten Beispiels: Beim Versuch die von Auslagerungen bedrohten ArbeiterInnenbereiche am Göttinger Uniklinikum mit 300 Beschäftigten gewerkschaftlich zu organisieren, werden 4 Hauptamtliche plus eine Organizerin eingesetzt. Ein riesiger Ressourcenaufwand, dem bislang als Ergebnis gegenübersteht, dass der Organisationsgrad auf 50% Gewerkschaftsmitglieder gestiegen ist. Ob es gelingt tragfähige Vertrauensleutestrukturen im Betrieb aufzubauen, die die Arbeit fortsetzen, wenn das Organizingprojekt nach 2 Jahren ausläuft, ist noch offen. Ähnliches berichtete S., der als Basisaktivist die aus der Not herausgeborene kurzfristige Selbstorganisation von Nürnberger AEG-KollegInnen im Projekt Druckwächter nachzeichnete. Als Fazit der nicht verhinderten Schliessung des Werkes in Nürnberg ziehen die AktivistInnen von damals den Schluss, dass man viel früher anfangen muss oppositionelle Betriebsgruppen aufzubauen. Wenn die Hütte brennt, ist es meistens schon zu spät.

 

Im Laufe der Diskussion wurden die Eingangsreferate durch weitere Erfahrungen fortgeführt. Der Ansatz des Mayday-Bündnisses kam ebenso zur Sprache, wie die daraus entstandene Unterstützung des Einzelhandelsstreiks durch das damalige "Dichtmachen-Bündnis". Der Fall Emmely und die Notwendigkeit, gewonnene AktivistInnen gegen Repression und Kündigungen zu unterstützen, war ein weiteres Thema. F. konnte hier mit ihren Innenansichten auf die Gewerkschaftsapparate erklären, dass und warum das unmögliche Verhalten von ver.di bei Emmely kein Ausrutscher ist, sondern der gewerkschaftlichen Denke mit dem Festhalten an einer Sozialpartnerschaft geschuldet ist. Wer so denkt wie fast alle Gewerkschaftsfunktionäre, der kann eben nicht mit Unternehmen umgehen, die auf Klassenkampf von oben setzen. Mehrere RednerInnen betonten, dass linke Unterstützung bei den KollegInnen insbesondere während Streiks durchaus willkommen ist, solange es den Linken nicht nur darum geht, ihre "Weisheiten" an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Ein Ex-Kollege vom Babylon bestätigte dies aus seiner Erfahrung, dass in ihrem Kleinbetrieb mit gerade mal 20 KollegInnen und einem ganz besonderen Chef die Kampagne von FAU und anderen Linken ihnen sehr viel geholfen hat.

 

Die angenehmste Überraschung des Abends war für mich persönlich aber die offene Diskussionskultur. Statt der sonst leider viel zu oft üblichen gegenseitigen Abgrenzungen, rhetorischen Schaukämpfe, langweiliger Statements von Selbstdarstellern und Machtkämpfen mittels Niedermachen des anderen mit allen Tricks, gab es eine ungewohntes Aufeinanderzugehen.  F. freute sich, endlich einmal nicht pauschal als Gewerkschafterin angegiftet zu werden. Transnet und GDL sitzenfriedlich und konstruktiv vereint auf dem Podium. Inhaltliche Unterschiede z.B. bei der Gretchenfrage wie man es mit der Gewerkschaft hält werden sehr wohl benannt, ohne plumb gegeneinandergestellt zu werden. Selbst der Auftritt der trotzkistischen SAS im alten Stil mit vor sich her getragenem Organisationsbekenntnis wird durch die Entschuldigung der zweiten Genossin relativiert. Ebenso wendet die von mir als subversiv-ironisch empfundene Reaktion eines Genossen von Fels, der seine Rede im selben Stil einleitet, die ganze Situation eher ins Lustige. Statt unfruchtbaren Gruppengezänk geht die Diskussio damti konstruktiv weiter. Vielleicht interpretiere ich zu viel in den Abend rein, aber mein Gefühl danach war ausgesprochen positiv: Es scheint doch möglich zus ein, dass in der Berliner Linken besonders kultivierte Sektierertum zu überwinden. Zu lernen hätten wir jede Menge von einander.

(1) Kommentare

Administrator 20.04.2009 11:05
Einen weiteren Veranstaltungsbericht findet man auf indymedia http://de.indymedia.org/2009/04/247323.shtml

Eine Passage zur AEG lautet: "Ein proletarischer Organizer war auch S, allerdings im Sinne eines Arbeitermilitanten, der in der Belegschaft in seinem Betrieb mehrere Jahre lang organisierte. Er berichtete über inner- und außerbetrieblicher Unterstützung des Streiks bei Siemens/Elektrolux in Nürnberg. Schon Monate vor Streikbeginn habe das Nürnberger Sozialforum mit der Informations- und Unterstützungsarbeit im Stadtteil begonnen. Damit sei der Grundstein für einen erfolgreichen Boykott der Produkte des bestreikten Konzern gelegt worden."

Interessant ist auch der Ergänzungsbeitrag von Peter H, der aus der Analyse der sozialdemokratischen Gewerkschaften zu dem Schluss gelangt, dass man den Beschäftigten nahelegen sollte Basisgewerkschaften zu gründen, wenn sie nicht schon von selber zu diesem Weg finden.