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Protestversammlung bei Siemens PSE beschließt "Dienst nach Vorschrift" gegen Ausgliederung

erstellt von Galadriel zuletzt verändert: 25.08.2008 08:52
Flexibel - wie die 3000 Programm- und SystementwicklerInnen (PSE) der Siemens AG Österreich es gewohnt sind - wurde die für den 8.11. als "Warnstreik" angekündigte Aktion gegen die geplante Ausgliederung ihrer 240 "Enterprise" KollegInnen vom Betriebsrat in eine "Betriebsteilversammlung" der Betroffenen umfunktioniert. Auch die anderweitige Belegung von Räumlichkeiten für die Versammlung konnte die KollegInnen nicht daran hindern, einen anderen Wiener Standort für die Beratung von Abwehrmaßnahmen aufzusuchen. Wie der erste Protesttag von letztlich 100 Aufrechten trotz Einschüchterungsversuchen der Firma erfolgreich durchgeführt wurde schildert der folgende Bericht.

Protest der PSE-KollegInnen in Wien PSE-KollegInnen, global denkend und lokal handelnd, wechseln den Standort

Erfolglose Einschüchterungsversuche

Die Firma habe massiv versucht, die MitarbeiterInnen von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten, berichteten PSE-KollegInnen: Sie fühlten sich von ihren Vorgesetzten als "arme Irre" hingestellt, die sich von einem profilsüchtigen aber bald machtlosen Betriebsrat noch beeinflussen ließen oder naiv glaubten, die Ausgliederung noch verhindern zu können. Geplante Besprechungen seien für diesen Tag nicht abgesagt worden, um die KollegInnen in Termin-Konflikte zu bringen. Auch im Intranet habe die Firma den Betriebsrat als verantwortungslosen, geschäftsschädigenden Verunsicherer dargestellt. Per mail sei er der unsachlichen Panikmache und Gesprächsverweigerung bezichtigt worden. TeilnehmerInnen, die den ganzen Tag oder auch nur stundenweise an der Aktion teilnehmen wollten, habe die Firmenleitung per Aussendung verboten, diesen Tag als geleistete Arbeitszeit zu kontieren. LeiharbeitskollegInnen hätten eine gesonderte mail erhalten, um sie vom Kontakt mit ihrem Betriebsrat abzuhalten. Doch dies alles habe wahrscheinlich nur etwa 30-40 Anwesende daran gehindert, der Einladung des Betriebsrates nicht zu folgen.

Wirtschaftliche Lage der PSE: Sehr gut !

Nach aufmunterndem Betriebsrats -Kaffee und -Kuchen im Hof des hauptbetroffenen Wiener Standortes Rampengasse eröffnete der Betriebsratsvorsitzende Samadani die "ordentliche" Betriebsversammlung mit folgendem Kurzbericht zur "Wirtschaftlichen Lage": "Es geht der Firma sehr gut - Ende!" Der Betriebsrat habe jedoch die Zahlen bisher nur mündlich präsentiert bekommen. Erst für die Zeit nach der heutigen Jahrespressekonferenz von Siemens seien ihm schriftliche PSE-Geschäftszahlen zugesagt worden.

Unübersehbare Parallelen zu BenQ

Es folgte Stellvertreter Zimmermann mit seinem Bericht über die Geschichte der geplanten "Siemens Enterprise" Ausgliederung und ihren unübersehbaren Parallelen zu BenQ und der Handy-Ausgliederung: Genau wie bei BenQ sei der Siemens Bereich "Enterprise" am 14.08.06 in eine Siemens Enterprise Management- und am 24.08.06 eine weit größere Siemens Enterprise MitarbeiterInnen- GmbH ausgegliedert worden, zu der auch ein Teil der PSE-KollegInnen geschlagen werden solle. Die MitarbeiterInnen-GmbH von BenQ mit tausenden Arbeitsplätzen habe bekanntlich vor kurzem Insolvenz angemeldet.

Betriebsrat nimmt Ängste der MitarbeiterInnen ernst

Im Anschluss daran ging Betriebsratsmitglied Steindl auf die angebliche Angstmache durch den Betriebsrat ein: Einer der letzten verbleibenden Bieter für die Siemens-Sparte Enterprise Networks hat sich Finanzkreisen zufolge aus dem Verkaufsprozess zurückgezogen. Der Bieter wolle Siemens für die Sparte nichts bezahlen und verlange stattdessen eine saftige Mitgift zitierte Steindl die Reuters-Meldung vom vorgestrigen Standard . Die PSE-Leitung könne daher in ihrer mail die Vergleiche des Betriebsrats mit BenQ nicht als "sachlich gegenstandslos und damit Panikmache" bezeichnen.

"Nachdenken" über Rückkehrgarantien zu wenig

Weiters ging Steindl auf die Angebote der Firma über Rückkehrgarantien ein: Die Unterstützungszusage der Unternehmensvertreter für den Fall, dass der neue Eigentümer innerhalb einer bestimmten Frist restrukturieren sollte, könne sie sich auf gut Wienerisch *einrahmen und in's Häusl hängen*.

Ist Siemens schon unsozialer als Hedge Fonds?

Sogar der US-Hedgefonds "Cerberus" habe der BAWAG laut Kurier nach einem Kauf der Bank eine Job- und Nicht-Filetierungsgarantie für ihre 4.300 Beschäftigte geboten. Ist denn Siemens schon unsozialer als Hedge Fonds? fragt Steindl.

PSE-Leitung reduziert die Zahl Betroffener von 240 auf 190

Inzwischen am Wiener Standort Siemensstraße angekommen wurde die Versammlung mit einem Bericht des Grazer PSE-Betriebsratsvorsitzenden Antal fortgesetzt. Er erläuterte die rechtlichen Paragraphen "§111 ArbVG":http://www.ris.bka.gv.at/taweb-cgi/taweb?x=d&o;=d&v;=bnd&d;=BND&i;=110299&p;=1&q;=%28111%29%3APARA%2CBSTPARA%20%20und%20%28arbvg%29%3AKTIT%2CABK%20%20%20%20%20%20und%20%2820061108%3E%3DIDAT%20und%2020061108%3C%3DADAT%29%20 und "§112 ArbVG":http://www.ris.bka.gv.at/taweb-cgi/taweb?x=d&o;=d&v;=bnd&d;=BND&i;=125471&p;=1&q;=%28112%29%3APARA%2CBSTPARA%20%20und%20%28arbvg%29%3AKTIT%2CABK%20%20%20%20%20%20und%20%2820061108%3E%3DIDAT%20und%2020061108%3C%3DADAT%29%20 , mit denen eine Ausgliederung durch Einsprüche bei der sozialpartnerschaftlichen Schlichtungskommission oder der staatlichen Wirtschaftskommission verhindert werden können. Diese Paragraphen bezögen sich aber auf eine Zahl von mindestens 200 Betroffenen. Ein Teilnehmer wies daraufhin, dass die PSE-Leitung die Zahl der von der Ausgliederung Betroffenen in ihrer jüngsten mail von rund 240 auf 190 Personen reduziert habe. Damit wolle sie vielleicht die Einspruchsmöglichkeiten durch den Betriebsrat abwehren. Doch Samadani beruhigte, indem er auf die darin nicht inkludierten LeiharbeitskollegInnen hinwies, mit denen man über die 200 für Einsprüche notwendigen Betroffenen komme.

Mehr als eine Milliarde Euro Sanierungskosten für Enterprise !

Im übrigen verwies Antal auf einen Bericht im Capital , wonach der Siemens-Vorstand selbst für die dauerhafte Absicherung des Unternehmensbereichs Enterprise Networks gegen Konkurrenten wie Cisco, Alcatel oder Avaya mehr als eine Milliarde Euro für erforderlich hält. Welcher Käufer könne und wolle das überhaupt bezahlen?

Wie geht es weiter?

Laut Wiener Betriebsratsvorsitzendem Samadani werde es am 10.11.06 noch eine Verhandlung mit der Firmenleitung geben. Wenn es da zu keiner gemeinsamen Lösung bezüglich der geplanten Ausgliederung mit dem Betriebsrat komme, werde am 13.11.06 die sozialpartnerschaftliche Schlichtungskommission zusammentreten. Ziel des Betriebsrats sei es, die Ausgliederung zu verhindern, weil die Firmenleitung sie bisher nicht wirtschaftlich hätte begründen können.

Forderung nach Freiwilligkeit nicht überzogen

Wenn dies aber nicht möglich sei, fordere der Betriebsrat Rahmenbedingungen. Samadani begründete, warum die Forderungen nach Freiwilligkeit und Rückkehrgarantien nicht überzogen sind wie die Geschäftsleitung meint: Die Manager hätten sich ihre Rahmenbedingungen bereits gerichtet. So werde der designierte Geschäftsführer der neuen PSE Enterprise Firma nach wie vor hohe Positionen in der alten PSE bekleiden. PSE Enterprise Manager der zweiten Ebene hätten sich in andere PSE-Bereiche versetzen lassen. Da sei es nur legitim, wenn für die verbleibenden MitarbeiterInnen entsprechende Rahmenbedingungen gewährt würden. Wenn Frau Ederer in der Presse behaupte, dass solche Forderungen stellt, wer de facto die Ausgliederung generell verhindern wolle, dann könne sich der Betriebsrat dieser Ansicht nur anschließen.

Rückkehrgarantien gängige Siemens-Praxis

Samadani las aus verschiedenen Vereinbarungen zwischen Siemens bzw. und MitarbeiterInnen vor, in denen Rückkehrgarantien zwischen Siemens und etwa der Firma Fujitsu Siemens Computers (FSC) ausgemacht wurden. Ein anderer Betriebsratskollege ergänzte, dass auch Longtime Delegations und Verträge etwa über die Rückkehr von der Firma AOSA (Siemens/Alcatel Joint Venture) bis heute in großem Maße von der Firmenleitung unterschrieben worden seien.

Einmischung in den Verkaufsprozess und Stillhalteabkommen

Wenn Siemens Enterprise samt PSE Enterprise ein Käufer gefunden habe, wolle der Betriebsrat sich auch in den Verkaufsprozess einmischen, damit die Arbeitnehmerrechte über eine gewisse Dauer auch vom Käufer garantiert würden. Außerdem solle laut Samadani im Falle einer Ausgliederung vereinbart werden, dass die PSE in den nächsten 5 Jahren eine zusammenhängende Einheit bleibe.

Wolfgang Katzian: Unterstützung der Gewerkschaft der Privatangestellten gewiss

Am Nachmittag nahmen die TeilnehmerInnen der Protestversammlung mit großem Applaus auch die moralische und finanzielle Unterstützung durch den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), Wolfgang Katzian, entgegennehmen. Es gebe einen entsprechenden "Vorratsbeschluss" für Kampfmaßnahmen gegen eine Zwangsausgliederung, wenn alle anderen Möglichkeiten am Verhandlungstisch ausgeschöpft seien. Katzian und Samadani bejahten auch Fragen, ob die PSE-MitarbeiterInnen vor Abschluss eines Ergebnisses wieder um ihre Zustimmung gebeten würden.

Dienst nach Vorschrift

Zu guter letzt wurde das Ergebnis der geheimen Abstimmung während der Mittagspause über einen Dienst nach Vorschrift im von Ausgliederung bedrohten Bereich PSE Enterprise bekanntgegeben:

Von 97 Stimmberechtigten kreuzten 94 Anwesende "Ja", 2 "Nein" und 1 sowohl "Ja" als auch "Nein" an.

Nach der Rückkehr zum Standort Rampengasse wurde noch bis 16:30 weiter gefragt und diskutiert.

Protesttag - Beginn einer neuen Streik-Kultur?

Der häufige Applaus der TeilnehmerInnen lässt vermuten, dass der vom Betriebsrat organisierte Protesttag für alle Beteiligte als Gewinn empfunden wurde. Der ebenfalls anwesende GPA-Geschäftsführer Karl Proyer äußerte die Hoffnung, dass dieser Tag der Beginn einer neuen Streik-Kultur sein könne, bei dem sich die Beschäftigten einfach Zeit nehmen, ihre Interessen und Anliegen als ArbeitnehmerInnen auszutauschen und zu diskutieren.

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