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Buchbesprechung - Der geplante Tod einer Fabrik

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 11.01.2011 19:29
Das "Netzwerk Arbeitskämpfe" aus der Schweiz hat ein Buch zum - gescheiterten - Kampf gegen die Schliessung der Karton Deisswil im Frühjahr 2010 nahe Bern herausgegeben. Kernpunkt bilden 7 Interviews mit 11 ArbeiterInnen, die tiefe Einblicke in das aktuelle Bewusstein der Lohnabhängigen bieten.

Ein Buch über einen gescheiterten Kampf gegen eine Betriebsschliessung in der Schweiz. Soll ich mir die Zeit nehmen es zu lesen? Obwohl am Anfang meine Zweifel überwogen haben und der Terminkalender wie meistens übervoll ist, habe ich mich dann doch bereit erklärt, eine Rezension zu schreiben. 

Zum Glück, denn sonst hätte ich dieses lesenswerte Buch wohlmöglich nie durchgearbeitet. KollegInnen, die als Betroffene vor einer ähnlichen Situation stehen und Linken, die neu in den Bereich Betrieb und Gewerkschaft einsteigen, kann man das mit 220 Seiten Umfang handliche Buch als Anschauungsmaterial nur empfehlen. Im wesentlichen sind es zwei Gründe, die das Buch darüberhinaus auch für alte Hasen mit Erfahrungen im Betriebskampf interessant machen. 

 

Die Schweiz ist anders und trotzdem ist vieles so erstaunlich ähnlich wie bei uns. Von der sozialpartnerschaftlichen Haltung der Gewerkschaft UNIA und der knallharten Machtpolitk ihrer Funktionäre, über die erprobte Methode der Abwicklung einer Fabrik mittels Transfergesellschaft, bis hin zu den zahllosen Illusionen und dem tief verwurzelten Stellvertreterdenken der KollegInnen, vieles kommt einem aus bundesdeutschen Beispielen wie z.B. der AEG Nürnberg sehr bekannt vor.

 

Der zweite Grund sind die 7 Interviews mit 11 ArbeiterInnen, die die eigentliche Bedeutung des Buches ausmachen. Selten ist wohl so gut gelungen, das Spektrum des Bewusstseins einer Belegschaft zu dokumentieren, die relativ massiv gegen die Schliessung der Firma protestiert hat. Wo sonst  in der Regel nur kämpferische StreikaktivistInnen zu Wort kommen, werden hier auch die Stimmen der gemäßigten Mehrheit der Belegschaft der Deisswil dokumentiert. Diese tiefen Einblicke in das aktuelle Bewusstsein der Lohnabhängigen laufen interessanterweise sehr stark parallel zu den im Dokumentarfilm "Der Gewinn der Krise" (Jörg Nowak, Bettina Hohorst) festgehaltenen Stimmung im Frühjahr 2009 an der "kämpferischen", gewerkschaftlich orientierten Basis der Belegschaften. Dies ist wohl kein Zufall. Auch wenn die angepasste Resignation, die scheinbar endlose Bereitschaft zum weiteren Verzicht und die allen Verarschungen und Niederlagen zum Trotz ungebrochene Hoffnung, irgendwie müssten die Gewerkschaften es doch für uns richten, eine echte Herausforderung für linke BetriebsaktivistInnen darstellen, so sind sie doch nichts  anders als ein getreues Abbild der gesellschaftlichen Realität. 

 

Wohl eher ungewollt zeigen die AutorInnen allerdings auch durch ihre eigenen Stellungnahmen, dass manche Mythen über die Gewerkschaften als Kampforganisation der ArbeiterInnen in bestimmten linken Kreisen einfach nicht zu erschüttern sind. Der politisch wie praktisch entscheidenden Frage wird leider immer wieder ausgewichen. Wie sollen ArbeiterInnen durch Selbstermächtigung und weitergehende Aktionsformen Kämpfe für sich entscheiden können, wenn man sich nicht klar macht, dass dies nur gegen die Gewerkschaftsapparate und die Funktionäre geht? In dem Punkt hat der 40 bis 50 Jahre alte Kollege aus Deisswil, der offenbar zur kämpferischen Minderheit im Betrieb gehört,  scheinbar mehr verstanden als einige UnterstützerInnen. Er erklärt das Wesen der Gewerkschaft wie folgt:

"Die UNIA, meine ich, war sehr populistisch. Das ist ein eigenes Unternehmen, was einem recht schnell klar wurde.  (...) Aber man muss klar sehen, dass es einfach eine Gewerkschaft braucht. Aber der Nachteil ist einfach, dass sie selbst eine eigene Firma  ist, (...)"

Die von den AutorInnen befürworteten radikaleren Aktionsformen wie Blockaden und Betriebsbesetzungen allein werden es nicht richten. Zu ihrer Umsetzung braucht es auch eigenständige Organisationsformen, die verhindern, dass die UNIA die Kontrolle über den Kampf gewinnt bzw. behält. Trotz der Schwäche keine wirkliche Perspektive für die aufgeworfenen Fragen anbieten zu können, ist das Buch ein wertvolles Dokument. Die handwerkliche Umsetzung im Bezug auf das Layout, die klare Gliederung und einen Anhang, der mit einer Chronologie und den wichtigsten Dokumenten zum Konflikt aufwartet, ist gut gelungen. Dies erleichtert dem Leser die Orientierung und erhöht den Lesegenuss.

 

Der Geplante Tod einer Fabrik - Der Kampf gegen die Schliessung der Karton Deisswil, Netzwerk Arbeitskämpfe; a propos Verlag,
ISBN 978-3-905984-02-6

 

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