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Eilantrag der Linke-Bundestagsfraktion: Keine Schließung TSTG Duisburg

erstellt von tstg zuletzt verändert: 09.05.2012 18:08
Eilantrag der Linkspartei-Bundestagsfraktion zum Erhalt der TSTG-Schienentechnik

Deutscher Bundestag Drucksache 17/ 17. Wahlperiode

Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Sevim Dagdelen, Klaus Ernst, Dr. Gregor Gysi, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Caren Lay, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Paul Schäfer, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Schließung des einzigen deutschen Schienenherstellers TSTG Schienen Technik in Duisburg – Übernahme des Unternehmens durch die Deutsche Bahn AG

Der Bundestag wolle beschließen:

  1. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
  1. Der einzige verbliebene Schienenhersteller auf deutschem Boden, die TSTG Schienen Technik GmbH & Co KG in Duisburg, soll nach dem Beschluss der Muttergesellschaft, der Voestalpine AG in Wien, Ende 2012 geschlossen und damit knapp 500 Arbeitsplätze vernichtet werden. Die Aufgabe jeglicher Fertigung in diesem Bereich widerspricht einer wohl verstandenen Standortpolitik.
  2. Als Begründung für die beschlossene Werksschließung nennt Voestalpine „Unwirtschaftlichkeit“ und „Überkapazitäten“. Tatsächlich fertigt das Werk in Duisburg seit 130 Jahren Schienen und war in diesem Zeitraum fast immer gut ausgelastet. TSTG Schienen Technik ist auch im Frühjahr 2012 gut ausgelastet, es werden Überstunden gefahren. Innerhalb des Voestalpine-Verbunds sollen, u.a. in Österreich, neue Kapazitäten aufgebaut werden, mit denen die bestehenden Kapazitäten in Duisburg ersetzt werden.
  3. Mitte 2011 flog das seit den 1990er Jahren zu Lasten fast aller europäischen Eisenbahnen wirkende Kartell „Schienenfreunde“ auf. Es wurde von den Stahlkonzernen Voestalpine und Thyssen bzw. ThyssenKrupp angeführt. Vieles spricht dafür, dass das Führungspersonal der Deutschen Bahn AG über das Bestehen des Stahlkartells informiert war. Voestalpine hat erhebliche Rückstellungen für eine zu erwartende Kartellrechtsstrafe gebildet. Die Schließung von TSTG ist somit auch Resultat von Managementversagen bei Voestalpine und Deutscher Bahn AG. Der TSTG-Belegschaft kommt die Rolle eines Bauernopfers zu.
  4. Die Deutsche Bahn AG ist mit der 100prozentigen Tochter DB Netz Oberbaustoffe Witten, dem führenden Hersteller von Schienenweichen, bereits im produktiven Sektor Schienenbau engagiert. Dieses Unternehmen arbeitet seit langer Zeit eng mit der TSTG Duisburg zusammen. Ein Zusammengehen von TSTG und Deutsche Bahn AG macht auch vor diesem Hintergrund Sinn; eine zukünftige Anlieferung von Schienen- und Weichenstahl über große Entfernungen (z. B. aus Österreich) ist auch aus ökologischen Gesichtspunkten abzulehnen.
  5. Die Deutsche Bahn AG hat seit Ende der 1990er Jahre und bis heute einen beispiellosen Abbau der Schieneninfrastruktur betrieben. Es kam dabei zu einer qualitativen Schwächung der Schiene. Es existiert heute ein gewaltiger Nachholbedarf im Bereich des Ersatzes und Ausbaus von Schienen und Weichen. Die Finanzierung solcher Investitionen ist dann gesichert, wenn die Deutsche Bahn AG ihre Gewinne in Deutschland reinvestiert. Allein der Jahresgewinn der DB AG 2011 entspricht dem Zehnfachen des Jahresumsatzes von TSTG Duisburg.
  1. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in ihrer Funktion als Vertreterin der hundertprozentigen Eigentümerin der DB AG, der Bundesrepublik Deutschland, sich dafür einzusetzen, dass TSTG Duisburg durch die Deutsche Bahn AG übernommen und mit dem Konzern Voestalpine, der in erheblichem Maß von Aufträgen der Deutschen Bahn AG profitiert, ein entsprechendes Einvernehmen erzielt wird.

Berlin, den 8. Mai 2012 Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Schienenfertigung

Angesichts der allgemeinen Ausrichtung der Verkehrspolitik auf eine Stärkung der Schiene zeichnet sich die Herstellung von Schienen nicht nur durch Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit aus. Vor dem Hintergrund hoher Geschwindigkeiten, höherer Achslasten, kürzerer Zugintervalle, kurzer Wartungszeiten und spezifischer Anforderungen auch im Nahverkehr handelt es sich dabei um eine Hightech-Fertigung, auf die eine auf Nachhaltigkeit abzielende Wirtschaftspolitik nicht leichtfertig verzichten kann.

Schienenkartell

Das Kartell „Schienenfreunde“ wirkte spätestens ab Mitte der 1990er Jahre und bis zum Jahr 2011. In dem Kartell waren 15 europäische Stahlunternehmen mit Schienenfertigung zusammengeschlossen. Das Kartell verlangte von den europäischen Eisenbahnen um 30 bis 50 Prozent überhöhte Preise für Schienen und Weichen. Insgesamt entstand dabei allein für die Deutsche Bahn ein Schaden von einer Milliarde Euro. Dieser Schaden trifft in erster Linie die Fahrgäste (wegen mangelhafter Schieneninfrastruktur, Verspätungen usw.), die Bahnbeschäftigten (in Form eines erhöhten Rationalisierungsdrucks) und die Steuerzahlenden, die für ihr Geld beträchtlich weniger Leistung bekamen. Die Aufarbeitung des Kartells „Schienenfreunde“ ist bisher völlig unzureichend. Die Deutsche Bahn AG vergab bereits neue große Aufträge an einen der Kartellführer – an Voestalpine –, ohne dass bisher eine Bilanz des Kartells gezogen und Schadenersatzforderungen konkretisiert worden wären.

Öffentliche Gelder für Schieneninfrastruktur und Personalie Dieter H. Vogel

In der Öffentlichkeit wurde das Kartell „Schienenfreunde“ bisher ausschließlich als eine Art Verschwörung der Stahlkonzerne gegen die Deutsche Bahn AG (und gegen andere europäische Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen) präsentiert. Tatsächlich sprechen bereits das lange Wirken des Kartells und die krass über den Marktpreisen liegenden Schienen- und Weichenpreise, die das Kartell durchsetzen konnte, dafür, dass die Führung der Deutschen Bahn AG Kenntnis von dem Kartell hatte. Mit dem Kartell wurden in erster Linie die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin der DB und die Fahrgäste geschädigt, da faktisch in erster Linie Steuergelder, die in die Infrastruktur flossen, in ihrer Wirkung drastisch geschmälert wurden. Interessanterweise vergab die Deutsche Bahn bereits im Oktober 2011 einen neuen großen Auftrag an Voestalpine für den Kauf von „Lagerschienen“, also noch bevor eine Entscheidung in dem Kartellverfahren erfolgte. („Die Bahn verzeiht Voestalpine“, in: Handelsblatt vom 19. Oktober 2011).

Dieter H. Vogel. nahm im Zeitraum 1986 bis 1998 beim größten deutschen Stahlkonzern, der Thyssen AG, führende Positionen im Management ein, zuletzt diejenige des Vorstandsvorsitzenden. Er schied im Mai 1998 bei Thyssen nach der Fusion zu ThyssenKrupp aus und engagierte sich in führender Position in der Private Equity-Gesellschaft BVT, die 2007 in der Lindsay Goldberg Vogel GmbH aufging. U.a. kontrolliert dieses Unternehmen den weltweit größten unabhängigen Stahlhändler, Klöckner & Co, bei der Vogel seit 2005 Aufsichtsratsvorsitzender ist. Auf Betreiben des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder übernahm Dieter H. Vogel am 24. März 1999 bei der Deutschen Bahn AG als Nachfolger von Heinz Dürr die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden, die er bis zum 7. März 2001 innehatte. Vogel war damit Oberaufseher bei der Deutschen Bahn AG in einer Zeit, in der das Schienenkartell die Bahn pro Jahr um Dutzende Millionen Euro erleichterte. In diesem Kartell war von Anfang an der Thyssen-Konzern führend aktiv.

Abbau der Schieneninfrastruktur

Im Zeitraum des Wirkens des Schienenkartells wurde das Schienennetz auf deutschem Boden wie folgt abgebaut: Die Netzlänge („Betriebslänge“) betrug 1994 40.385 km und 2010 33.723 km; es erfolgte ein Abbau um 16,5 Prozent. Die Länge der Gleise betrug 1994 78.073 km; 2010 waren es noch 64.077 km; es erfolgte eine Reduktion um 17,9 Prozent. Die Zahl der Weichen und Kreuzungen betrug 1994 131.968; 2010 waren es noch 66.875. Die Reduktion beträgt 49 Prozent. Die Zahl der Privatgleisanschlüsse (Anschlüsse einzelner Unternehmen direkt ans Schienennetz) betrug 1994 11.742; 2010 waren es noch 8029. Der Abbau liegt bei 31 Prozent. (Angaben jeweils nach Deutsche Bahn AG bzw. Deutsche Bundesahn und Deutsche Reichsbahn).

Gewinne der Deutschen Bahn AG und von DB Netz

Die Deutsche Bahn AG weist seit dem Jahr 2002 Gewinne (EBITDA) in steigender Höhe aus. Insgesamt waren es im Zeitraum 2003 bis 2011 15,5 Milliarden Euro Gewinne. 2009, 2010 und 2011 lag der jeweilige Jahresgewinn bei 1,685, 1,866 und 2,309 Milliarden Euro. Zu diesem Gewinn trug in wachsendem Umfang der Gewinn der Tochtergesellschaft DB Netz bei, der allein 2010 bei 601 Millionen Euro und 2011 bei 715 Millionen Euro lag. Der Umsatz und der Gewinn von DB Netz wird in erheblichem Maß durch die staatlichen Unterstützungszahlungen für die Schieneninfrastruktur generiert. 2011 flossen rund 4 Milliarden Euro an staatlichen Geldern in das Netz (über die in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung – LuFV – vereinbarten Summen zum Erhalt der Infrastruktur und in Form von Zuschüssen für Neu- und Ausbaustrecken).

Die Gewinne der DB AG werden zu einem großen Teil für den Aufkauf von Unternehmen im Ausland eingesetzt. Auf der Bilanzpressekonferenz vom 27. März 2012 verkündete Bahnchef Rüdiger Grube als Ziel, den Umsatz der DB AG bis zum Jahr 2020 zu verdoppeln, überwiegend durch den Aufkauf weiterer Unternehmen im Ausland. Die expansive und aggressive Unternehmenspolitik der DB AG auf den Auslandsmärkten und überwiegend außerhalb des Kerngeschäftes Schienenverkehr steht in krassem Gegensatz zum beschriebenen Abbau der Schieneninfrastruktur im Inland.

Übernahme durch die Deutsche Bahn – auch eine CDU-Forderung „Riesenbeifall für einen CDU-Politiker von Stahlarbeitern – das gibt es nicht allzu oft, aber das gab es gestern. Eine neue Weichenstellung für das von Schließung bedrohte TSTG-Schienenwerk regte gestern CDU-Ratsherr Frank Heidenreich an: Die Deutsche Bahn solle prüfen, ob sie die Duisburger Schienenfertigung übernehmen kann. ´Wir sollten keinen Weg ausschließen´, forderte der Christdemokrat in der Marxloher Kreuzeskirche, wohin der TSTG-Betriebsrat zur Diskussion über die Zukunft des Schienenwerkes und seiner knapp 500-köpfigen Belegschaft eingeladen hatte.“ (WAZ vom 18. April 2012.)

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