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Interview vom 31.10.2008 mit Nikos Moskofitism

erstellt von dave — zuletzt verändert: 14.12.2008 12:01

Kannst du dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Nikos Moskofitism und ich bin seit 4 Jahren als einfacher Arbeiter hier bei Siemens beschäftigt. Eine besondere Ausbildung habe ich nicht. Ich stamme hier aus Thessaloniki. Als erstes möchte ich sagen, dass es mich besonders freut, ein Interview für türkische Leser zu geben. Ich habe früher gedacht, die Türken wären wirklich unsere Erzfeinde und wollten uns nur böses, genau, wie es uns immer eingehämmert wird. Aber dann habe ich übers Internet einen Jugendlichen aus der Türkei kennengelernt. Er denkt in vielen Fragen genau wie ich, hört die gleiche Musik und hat auch sonst gleiche Interessen. Da habe ich gemerkt, wie nah wir Griechen und Türken uns eigentlich sind und wie sehr unsere Kulturen sich gleichen. Das ganze chauvinistische Gerede auf beiden Seiten soll uns nur trennen. Wir müssen uns besser kennenlernen und austauschen. Deswegen freue ich mich über diese Gelegenheit.


Kannst du uns kurz etwas über die Fabrik, die ihr besetzt habt erzählen?

Wir haben hier Hardware produziert, besonders Network Cards, Anrufbeantworter, Chipkarten, Telefonzentren und solche Dinge. Der technische Standard der Fabrik ist ziemlich hoch. Die Arbeiter hier sind im Schnitt eher älter, die Altersgruppe von 25-35 macht etwa 15% aus. Die meisten Arbeiter sind zwischen 45-50 Jahren alt und arbeiten schon viele Jahre hier. Die Leute arbeiten hier hauptsächlich als Mechaniker, Elektriker oder einfache Arbeiter, insgesamt sind die meisten im technischen Bereich beschäftigt. Außer den direkt bei Siemens Beschäftigten hängen noch viele weitere Arbeitsplätze an dem Schicksal der Fabrik, zum Beispiel die LKW-Fahrer oder die Leute aus den Zulieferbetrieben.

In der Stadt gibt es nicht viele andere Arbeitsmöglichkeiten für die Beschäftigten hier. Ich bin noch jung und arbeite auch noch nicht lange hier, ich werde schon irgendetwas finden, aber für die Kollegen, die spezialisierter sind und schon lange bei Siemens arbeiten wird es schwer werden, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Hier bei uns arbeiten besonders viele Frauen. Für sie wird es besonders schwer werden, wieder Arbeit zu finden.


Ihr seid seit dem 19. September im Widerstand, was für ein Ziel verfolgt ihr mit dem Streik und der Besetzung der Fabrik?

Unsere Hauptforderung ist die Rücknahme der Schließung. Aber die absolute Minimallösung ist, dass alle Mitarbeiter eine ausreichend hohe Abfindung bekommen. Bevor das nicht garantiert wird, werden wir die Besatzung der Fabrik nicht beenden. Was die Abfindungen angeht werden diejenigen, die wenig hier gearbeitet haben in jedem Falle wenig bekommen, die, die schon lange hier sind etwas mehr. Eigentlich müsste die Regierung eine Lösung finden, aber daran glaube ich nicht. Wir haben sie gewählt, durch unsere Stimmen sitzen sie im Parlament, aber denen passiert nie etwas, immer trifft es uns. Ich glaube nicht mehr daran, dass die Regierung wirklich etwas für uns tun wird, aber eigentlich wäre sie dazu verpflichtet. Es ist wichtig, dass wir diese Sache bekannter machen und so mehr Druck erzeugen.


Wie ist die Beteiligung am Streik? Wie organisiert ihr den Alltag in der besetzten Fabrik?

Fast alle machen mit, sogar die Direktoren der Fabrik. Es sind immer mindestens 25 Leute hier. Die Streikposten sind in Schichten zu je 8 Stunden eingeteilt. Die Siemens Gewerkschaft organisiert Listen, die offen aushängen und wo sich die Streikposten selber eintragen können. Das klappt bisher sehr gut, es kommen genügend Leute zusammen.

Da der Widerstand schon so lange andauert, ist es besonders für diejenigen mit Familie allerdings schwierig, besonders da wir momentan überhaupt keinen Lohn bekommen. Die Gewerkschaft hat zwar einen Fond angelegt, aber das reicht nicht mal für Kaffee für alle. Hier im Betrieb sind fast alle gewerkschaftlich organisiert. Es gibt eine gewählte gewerkschaftliche Vertretung von 5 Leuten hier im Betrieb. In Griechenland haben wir gesetzlich das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung, wenn mehr als 60 Arbeiter in einem Betrieb arbeiten.

Sehr viel Programm gibt es während der Streikschicht nicht, aber es finden viele Diskussionen statt. Alle sind sehr aufgeregt und natürlich drehen sich fast alle Gespräche um die Zukunft unserer Arbeitsplätze und den Streik. Heute wird ein Film über unseren Widerstand mit anschließender Diskussion hier in der Fabrik gezeigt, der von KOE gedreht wurde. Wir denken auch darüber nach, ein Konzert zu organisieren.


Wie sieht es mit der Unterstützung durch die Bevölkerung aus? Habt ihr auch von anderen Betrieben/Städten Unterstützung erhalten?

Grundsätzlich muss ich sagen, dass vor allem die, die selber betroffen sind, Interesse zeigen. Die anderen zeigen bisher zwar Verständnis, aber leider kein großes Interesse. Aber besonders die Familien der Arbeiter unterstützen den Streik aktiv.

Es hat Fabriken gegeben, die schon vor uns geschlossen wurden, und die Kollegen von dort haben uns viele nützliche Ratschläge gegeben und uns erklärt, wie man so eine Besetzung organisiert. Es kamen auch spezielle Anwälte, die sich mit dem Arbeitsrecht gut auskennen und haben uns rechtlichen Beistand gegeben. Von allen politischen Parteien sind Vertreter vorbeigekommen, auch von der Regierung waren sie einmal hier. Aber bei diesen Besuchen ist es über das Reden meistens nicht herausgegangen.


Wie schätzt du die weitere Entwicklung ein, wird der Streik erfolgreich sein?

Naja, dass die Schließung wirklich zurückgenommen wird glaube ich eigentlich nicht, aber die Aussicht, dass die Abfindungen erhöht werden stehen gut. Es gab bereits Verhandlungen mit Siemens, aber wir haben den Vorschlag abgelehnt, da uns nur eine sehr niedrige Abfindung vorgeschlagen wurde. Jetzt wird es erneut zu Verhandlungen kommen.

Aber wir haben schon deutlich gespürt, dass unser Streik unangenehm für die Siemens-Leitung ist. Es gibt hier zwei Tore, durch die man in die Fabrik kommt, und wir haben dort Posten stehen. Heute Morgen sind Leute von Siemens gekommen und haben versucht, halbfertige Produkte aus der Fabrik zu holen, aber wir haben das nicht zugelassen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie wieder kommen werden, deswegen müssen wir wachsam sein.

Aber das allerwichtigste bei der ganzen Sache ist: wir müssen zusammenhalten! Das hat unsere Erfahrung hier in Thessaloniki wieder einmal ganz deutlich gezeigt. Diese Fabrik besteht bereits seit 44 Jahren und bis zum heutigen Tag hat Siemens hier durch die Arbeit der Arbeiter Profit gemacht. Für uns ist dabei nicht viel herausgekommen.

Ich glaube wir müssen lernen, uns menschlicher zueinander zu verhalten und uns zu vereinigen. Auch aus diesem Grund liegt mir die Brüderlichkeit zwischen dem türkischen und dem griechischen Volk sehr am Herzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns gegeneinander ausspielen. Sonst geht es uns wie dem antifaschistischen Pastor Niemöller in seinem Gedicht: „... zuerst holten sie die Kommunisten; ich schwieg, denn ich war kein Kommunist. Dann holten sie die Juden; ich schwieg, denn ich war kein Jude. Dann holten sie die Gewerkschaftsmitglieder unter den Arbeitern; ich schwieg, denn ich war kein Gewerkschafter. Danach holten sie die Katholiken; ich schwieg, denn ich war Protestant. Schließlich holten sie mich, und da war keiner mehr, der für mich hätte sprechen können. “

Es gibt ein griechisches Sprichwort das besagt, wenn das Haus des Nachbarn brennt, helfe ihm. Wir handeln oft nicht in diesem Sinne, aber ich glaube genau jetzt ist die Zeit gekommen, sich gegenseitig zu helfen!

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