Sie sind hier: Startseite Projekte Schweiz Officine Bellinzona: Eine neue Phase der Mobilisierung

Officine Bellinzona: Eine neue Phase der Mobilisierung

erstellt von Rainer zuletzt verändert: 12.12.2011 20:44
Der Streik der Arbeiter der SBB-Werkstätten (Officine) in Bellinzona im Frühjahr 2008 geht wohl in die Geschichte ein: Nach 33 Tagen Streik und Besetzung der Werkstatt, einer breiten Mobilisierung von Gesellschaft und Politik konnten die über 400 Beschäftigten die Restrukturierungspläne der SBB-Direktion erfolgreich bekämpfen und somit den Standort erhalten. Darüber hinaus konnten gar Forderungen durchgesetzt werden wie z.B. die Festanstellung von ca. 50 Temporärarbeitern. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die SBB-Spitze den Frontalangriff nur hinaus schob. Zwar wurden die Bedürfnisse der Werkstatt in Bellinzona regelmässig zwischen der Direktion des Unternehmens und dem Streikkomitee an einem sogenannten „Runden Tisch“ besprochen, die wichtigen Entscheide wurden aber anderswo gefällt.

Mitte 2011 verhandelte die SBB mit den Gewerkschaften SEV und transfair und über die Köpfe der über 27'000 SBB-Beschäftigten hinweg die Erneuerung des Gesamtarbeitsvertrages (GAV). Wesentlicher Bestandteil des neuen Vertrages war der Übergang vom Lohnsystem ESP (29-Lohnklassen) zu ToCo (15-Lohnklassen), was eine massive Effektivlohnreduktion (bis zu 20'000 CHF jährlich in gewissen Fällen) und eine krasse Öffnung der Lohnschere innerhalb der SBB bedeutet. Immerhin weigerten sich über 6000 Beschäftigte schweizweit, den neuen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen. Ob dieser "individuelle Protest" in eine kollektive Mobilisierung mündet, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Sicherlich könnten die Beschäftigten der Officina Bellinzona hier eine Vorreiterrolle spielen.

Nachdem in den letzten beiden Jahren wieder vermehrt Temporärarbeiter angestellt wurden, um die stark gestiegenen Aufträge von SBB Cargo bewältigen zu können, soll das Arbeitsvolumen beim Unterhalt der Güterwagen nun ganz kurzfristig und massiv reduziert werden. Dieser Entscheid von SBB Cargo im November 2011 ist ein eigentlicher Frontalangriff auf die Werkstatt in Bellinzona, der früher oder später zu einer Schliessung des Werkes führen würde - die gleichen Pläne also, welche die SBB-Direktion schon 2008 umsetzen wollte und die zum bekannten Widerstand führten, werden neu aufgegleist.

Die Belegschaftsversammlung der Offinica Bellinzona hat als erste Antwort auf diesen Angriff eine Resolution verabschiedet und die SBB-Direktion aufgefordert, den Entscheid zurückzunehmen. Wir haben diese Resolution auf Deutsch und Französisch übersetzt, damit die neueste Entwicklung über die kantonalen Grenzen hinaus bekannt gemacht wird und sich eine breite Solidarität mit der Belegschaft der Officina Bellinzona organisieren kann.

Netzwerk Arbeitskämpfe

RESOLUTION DER BELEGSCHAFTSVERSAMMLUNG DER SBB-WERKSTÄTTEN (OFFICINE) VON BELLINZONA VOM 24.11.11

Anlässlich ihrer Versammlung haben die Beschäftigten der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona von der ernsten Lage Kenntnis genommen, die als Folge der für 2012 geplanten Abnahme des Arbeitsvolumens eingetreten ist. Kurz vor Jahresende stehen wir vor der – aus naheliegenden Gründen (Konsolidierung des Budgets, Prozessdefintion usw.) – schwierigen Aufgabe, kurzfristige Lösungen zu finden, um rund 42 % der Arbeitsstunden aufzufüllen, die im Güterwagenunterhalt fehlen; 70 % dieser Stunden (ungefähr 90'000 Stunden) sind durch einen Rückgang der Wartungsaufträge seitens SBB Cargo verschuldet.

Diese Entscheidung hätte schlimme Folgen für die Beschäftigung in den SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona, da sie viele andere Abteilungen schwächen und rund hundert Arbeitsplätze gefährden würde. Eine derart umfassende Kürzung im Güterwagenbereich nähert uns gefährlich der minimal erforderlichen Arbeitsmenge, um die SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona überhaupt weiterzuführen (finanzielle Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit usw.), und gefährdet damit auch die Verwirklichung des Kompetenzzentrums.

Es liegt auf der Hand, dass die Beschäftigten der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona diese Aussicht nicht hinnehmen können, die weder mit den Vereinbarungen übereinstimmt, die zum Zeitpunkt des Übergangs der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona von SBB Cargo zum SBB Personenverkehr getroffen wurden, noch mit der Bekräftigung des Geistes des Vertrauens, der mit den Abkommen von 2008 begonnen hatte, noch viel weniger mit den bisherigen Gesprächen im Rahmen des Runden Tisches. Aus diesen Gründen werden sich die Beschäftigten der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona mit allen Mitteln dafür einsetzen, die fehlende Arbeit zu überbrücken, indem sie als Erstes den Rückzug des Entscheides von SBB Cargo verlangen. Der Gemeinderat von Bellinzona in corpore hat sich bereits öffentlich verpflichtet, jede Initiative der Beschäftigten der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona zu unterstützen, die zur Lösung dieser Situation geeignet ist.

Im Hinblick darauf verlangen die Beschäftigten der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona, mit Datum vom 24.11.2011, von den SBB:

  1. Rückzug des Entscheids von SBB Cargo bezüglich der für 2012 vorgesehenen Arbeitsvolumina in den SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona.
  2. Ein dringendes und kurzfristiges Treffen mit SBB Direktor A. Meyer und mit dem SBB Verwaltungsratspräsidenten U. Gygi, zwecks Überprüfung der Situation der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona und der Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen.
  3. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen, die erforderlich sind, damit die SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona Aufträge ausserhalb der SBB und von SBB Cargo annehmen können, wie das stets vom Personal der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona gefordert und auch von den SBB verlangt wurde.

Die Beschäftigten der SBB-Werkstätten (Officine) von Bellinzona werden sich so bald als möglich in einer ausserordentlichen Betriebsversammlung treffen, um die oben aufgestellten Forderungen zu erörtern.

(0) Kommentare