Sie sind hier: Startseite Projekte Standpunkt - Gruppe (DB, GDL u. TG) News Die „radlose“ Bahn

Die „radlose“ Bahn

erstellt von Standpunkt-Redaktion — zuletzt verändert: 26.07.2009 00:16
Derzeit ist nicht viel los auf den Schienen der Berliner S-Bahn. Viele Berliner lernen Alternativen zur S-Bahn kennen. Aus der Vergangenheit kennen aber auch noch viele S-Bahn Nutzer ihre Alternativen zur S-Bahn. Im Jahr 2007 hat der Streik der Lokführergewerkschaft GDL schon einmal den S-Bahn Verkehr in ähnlicher Form stillgelegt. Schon damals haben viele S-Bahn Nutzer nach Ausweichmöglichkeiten gesucht und sie auch gefunden. Bahn Manager haben nun mit dem totalen Chaos gerechnet und die Bundespolizei in Bereitschaft gerufen. Doch die Berliner wichen dem befürchteten Chaos lieber aus und nutzen Alternativen. Auch die Mitarbeiter der S-Bahn gaben der Bundespolizei keinen Anlaß zum Eingreifen.

 

Aber die Mitarbeiter der S-Bahn haben ihre Schwierigkeiten mit der Situation klar zu kommen. In der Meldestelle für Triebfahrzeugführer im Bahnhof Friedrichstrasse drängten sich z.B. am ersten Chaostag bei der Berliner S-Bahn bis zu 20 Triebfahrzeugführer in einem unterirdisch gelegenen Raum von gerade einmal 10 m². Viele der Triebfahrzeugführer konnten ihre Schichten nicht antreten, da ihre Züge nicht fuhren. Andere von ihnen hätten z.B. eine Schicht auf der Hauptzuggruppe der S1 gehabt. Diese Züge würden nun nach Aussage der Betriebszentrale angeblich nicht mehr fahren. Doch fuhr die S1 weiterhin im 20 Minuten Takt zwischen Oranienburg und Potsdam. Die Triebfahrzeugführer wussten nicht mehr wem und was sie überhaupt noch glauben sollen. Hinzu kamen die Vorgesetzten in fast allen Meldestellen, den Bahnsteigaufsichten und Stellwerken. Sie sollten eine überwachende Funktion ausüben. Die Frage, welche Art diese Überwachungen hatten, konnten sich viel Mitarbeiter selbst beantworten, denn bei ihnen kam schnell der Gedanke an die Überwachungsaffäre bei der Bahn wieder auf. Aber auch an das Versprechen des Bahnvorstand Grube erinnern sich noch viele Eisenbahner. Grube wollte die Datenaffäre lückenlos aufklären. Doch aus Sicht der Betroffenen, den Eisenbahnern, ist noch immer nichts aufgeklärt.

Viele Sachverhalte stehen derzeit nicht nur bei der S-Bahn in Frage. Die Frage, wo das Chaos bei der Bahn zu suchen ist, in den Führungsetagen oder auf den Bahnsteigen der Bahn, können sich die Eisenbahner nur zu leicht beantworten. So bekommen auch die Worte der neuen Geschäftsführung bei der Berliner S-Bahn, die sich in einem Schreiben an die Mitarbeiter der S-Bahn gerichtet hat, nicht die Glaubwürdigkeit die sie bei den Mitarbeitern der S-Bahn erzeugen sollen. Bei den Worten der Geschäftsführung handelt sich nach Aussagen von S-Bahnern wiederum nur um Lippenbekenntnisse. Viele, zu viele Lippenbekenntnisse haben die Bahner in den letzten Jahren von ihren Chefs gehört. Den geschickt gewählten Worten der Chefs sind nicht nur in der Vergangenheit so gut wie keine Taten im Interesse der Beschäftigten gefolgt. Vertrauensbildung sieht in den Augen der Beschäftigten anders aus.

Warum während der Mitarbeiterversammlung der S-Bahn Geschäftsführung am 14.07.09 vor dem Werk Schöneweide, in dem die Versammlung stattfand, 5 Mannschaftswagen der Bundespolizei warteten, blieb ein Geheimnis. War es aus Angst der Geschäftsführung und des Aufsichtsratvorsitzenden der S-Bahn, Graf von der Schulenburg, vor möglichem “Boss napping“? Die Stimmung bei den Mitarbeitern hätte es vielleicht vermuten lassen. Sie sehen sich weit von der Bahnführung entfernt. Hinzu kommt nun noch der Umstand, dass Herr Mehdorn und seine Schergen ab September wieder als „Berater“ bei der Bahn aktiv wird. Dadurch sehen viele Eisenbahner die Möglichkeit eines tatsächlichen Neuanfang bei der Bahn als völlig unmöglich und als reines Lippenbekenntnis der Manager an.

„Niemand hat die Absicht ...“ So oder ähnlich werden von den Eisenbahnern derzeit die Worte der Bahn Manager bewertet. Das letzte Beispiel dazu kam vom Vorstandsvorsitzenden Personenverkehr der DB AG, Ulrich Homburg. Nach der Veröffentlichung des Radscheibenriss an einem Doppelstockwagen in Wünsdorf/Waldstadt, stellte die Bahn den Vorfall als Einzelfall dar und begründeten diesen mit einer zu hohen Bremsung am betreffenden Radsatz. Fachkundige Eisenbahner schütteln nur verzweifelt den Kopf und bemerkten dazu: “Wollen die uns nun endgültig für blöd verkaufen!?“ Ein Lokführer beschrieb die in allen Führungsbereichen der Bahn wortgleichen Äußerungen zum Vorfall in Wünsdorf als völlig unqualifiziert. Wenn die Entstehung von Rissen an einer Radscheibe durch die Bremsungen der Züge hervorgerufen wird, dürfe ab sofort kein Zug mehr aus Sicherheitsgründen abgebremst werden. Zudem würde bei solch einer fachlich unsinnigen Darstellung die Frage der Funktionsfähigkeit des Gleitschutz aufkommen. Dieser Gleitschutz dient der Vermeidung des Blockieren eines Radsatz bei starker Bremsungen oder schlechten Schienenverhältnissen. So sollten sich die Manager der Bahn neue Ausreden einfallen lassen, sonst könnte die Öffentlichkeit leicht auf die gleiche Problematik am Gleitschutz kommen, wie sie bei Zügen der Berliner S-Bahn noch immer vorhanden sind.

Auch der Betriebsleiter bei DB-Regio Nord/Ost hat noch immer nicht erkannt, wohin die Bahn derzeit fährt. Er bemerkt zu dem Radscheibenriss an dem Doppelstockwagen in Wünsdorf/Waldstadt:

Nach einer ersten Einschätzung von Fachleuten wird als Ursache eine zu stark wirkende Klotzbremse, d.h. eine äußere Einwirkung vermutet. Deshalb ist der Sachverhalt nicht mit den Vorfällen bei der Berliner S-Bahn vergleichbar.“ Dass es bei der Berliner S-Bahn keine Klotzbremsen mehr gibt, ist schon verständlich. Werden jedoch jetzt alle Klotzbremsen an den älteren Doppelstockwagen ausgeschaltet, wenn sie doch zum Radscheibenriss führen können?

Weiter meint der Betriebsleiter: “Nachweislich wurden bei diesem Wagen alle erforderlichen Untersuchungen fristgemäß durchgeführt. Die Verlängerung der Abstände der wagentechnischen Untersuchungen erfolgte ausschließlich bei ausgewählten Bauarten von Neubaudoppelstockwagen. Der schadhafte Wagen gehört zu einer älteren Bauart, die unverändert alle 3000 km untersucht wird. Die letzte Untersuchung des betreffenden Wagens erfolgte durch einen Wagenmeister am 14.07.2009, am Ereignistag wurde vor Einsatzbeginn vorschriftsmäßig eine volle Bremsprobe durchgeführt.“ Was eine Bremsprobe mit einem Radscheibenriss zu tun hat ist dabei nicht verständlich, denn bei einer Bremsprobe wird nur die Funktionsfähigkeit der Bremse kontrolliert, aber nicht der Zustand der Radsätze. Auch ein Wagenmeister kann nur eine Sichtkontrolle und Klangprobe durchführen, die nicht jeden Riss erkennen lässt. So bleibt nun die Frage der Ultraschalluntersuchungen an den Achsen und Radscheiben unbeantwortet. Genau diese Untersuchungen, die auf Anordnung des Eisenbahn Bundesamt derzeit an den Achsen der Baureihe 481/482 der Berliner S-Bahn nachgeholt werden müssen. Auch wenn die Wartungsintervalle nach Aussage des Betriebsleiter „nur“ bei den Neubaudoppelstockwagen verdoppelt wurden, können so nun mögliche Achs- oder Radscheibenrisse noch später entdeckt werden. Gerade diese Neubaudoppelstockwagen verkehren mit 160 km/h und fahren dieser Tage voll besetzt durch Berlin.

Aber über die Ursachen des Radscheibenriss führt das Eisenbahn Bundesamt derzeit ausführliche Untersuchungen durch. Es wird nicht auszuschließen sein, dass sich die Worte der Bahn Manager bei DB-Regio, ebenfalls wie bei der S-Bahn in Berlin als Lüge und Vertuschungsversuch entlarven werden. Erste Äußerungen des Eisenbahn Bundesamt lassen diese Möglichkeit zu, da die Behörde nicht von einem Einzelfall reden möchte. Bei DB-Regio werden nun alle Protokolle der Wartungsinhalte und Wartungsintervalle untersucht. Sollten bei DB-Regio ebenfalls Abweichungen aufgrund von Einsparungen an Personal und im Wartungsbereich auftreten, wird es Anordnungen des EBA nach sich ziehen. So wie nun auch bei der Baureihe VT 642. Dort wurden ebenfalls verkürzte Intervalle für die Ultraschallprüfung der Radsatzwellen angeordnet.

Damit die Wahrheit über den tatsächlichen Sicherheitszustand bei der Bahn ans Tageslicht kommen, braucht es engagierte Fachpersonal in den Werkstätten und im Eisenbahnbetrieb. Daher sollte nicht die existierende Angst vor Repressionen und Arbeitsplatzverlust durch Vorgesetzte in den Vordergrund stehen, sondern das eigene Gewissen und die Verantwortung gegenüber den Kollegen auf den Zügen und natürlich den Reisenden. Der Aufmerksamkeit der Eisenbahner ist es zu verdanken, dass Unregelmäßigkeiten bei der Bahn auch zukünftig eine sehr hohen Bedeutung zukommt. Es ist nun Sache der Manager, ob sie den Eisenbahnern wieder ihren Respekt und ihren Stellenwert an einer sicheren Bahn zukommen lassen, oder ob sich die Eisenbahner ihren Respekt und Stellenwert über die Öffentlichkeit erstreiten müssen.

Die Problematik der Sicherheit der Achsen ist nun in allen Bereichen der Bahn angekommen. Vom ICE Achsbruch in Köln, über den Radscheibenbruch bei der S-Bahn in Berlin, der Katastrophe im italienischen Viareggio bei der ein Flüssiggaswaggon nach einem Achsbruch entgleiste und explodierte, bis hin zum Radscheibenriss in Wünsdorf/Waldstadt. Es sind alles Indizien für die fehlende Sicherheit bei der Bahn. Eine Bahn die nach Ansicht der Politik nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren soll und nicht allein im Interesse der Allgemeinheit. Viele Eisenbahner und Befürworter einer Bahn im öffentlichen Interesse haben wiederholt vor den befürchteten englischen Verhältnisse gewarnt. Jetzt haben wir sie. Folgen ihnen französische Verhältnisse durch die Beschäftigten, sollte sich kein derzeitig politisch oder betrieblich Verantwortlicher der Bahn wundern. Die Warnungen der Beschäftigten sind unübersehbar.

(0) Kommentare