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Interview mit Harilaos Markopulos vom 02.11.2008

erstellt von dave — zuletzt verändert: 14.12.2008 12:01

Kannst du dich kurz vorstellen und ein paar Informationen über die besetzte Fabrik geben?

Ich lebe mit meiner Familie in Thessaloniki und bin einer der Direktoren der Siemens-Fabrik hier in Thessaloniki. Diese Fabrik wurde im Jahr 1964 gegründet und existiert somit bereits seit 44 Jahren. Die Fabrik hieß bis 2006 Siemens Tele Industries und wurde dann in Siemens Enterprise Communication umbenannt. Am Anfang hatte die Siemens AG 70% der Aktien und die Griechische Nationalbank 30%. Das war bis zum Sommer 2006 die Situation. Insgesamt arbeiten hier 231 Arbeiter und Angestellte, dazu kommen noch die Zulieferbetriebe.

Ich möchte betonen, dass außer zwei Personen alle lokalen Direktoren und auch die führenden Angestellten an dem Streik teilnehmen. Ich betone dass deswegen, weil es etwas besonders ist, das nicht oft vorkommt. Der Grund ist einfach: Uns ist vollkommen klar, dass die Fabrik weiterlaufen muss. Wir kennen diese Fabrik besser als jeder andere, das kann auch für unseren Widerstand hier von Vorteil sein. So haben wir zum Beispiel auch unser Know-how in den Streik eingebracht. Parallel dazu haben wir in den Verhandlungen unser Wissen eingebracht, so zum Beispiel Kenntnisse der Bilanzen, Daten aus der Produktion, Logistik etc.


Wie kam es zu dem Beschluss von Siemens, die Fabrik in Griechenland zu schließen? Welchen Hintergrund hat diese Schließung einer gewinnbringend arbeitenden Fabrik?

Das erste Mal war im Februar 2008 von der geplanten Schließung der Fabrik in Thessaloniki die Rede. Zum besseren Verständnis der jetzigen Situation muss ich ein bisschen weiter ausholen. Zur Erklärung: Es gibt zwei Grundbereiche in der Kommunikation, einmal die public networks (Infrastruktur für Mobil und Festnetz) und die enterprise network (kleine call centers). Im Jahr 2006 hat der Bereich der public networks ein Joint-Venture-Unternehmen mit Nokia vollzogen und wurde zu Nokia Siemens Networks. Der andere Bereich, gründete eine neue Firma, die Siemens Enterprise Networks (SEN), als hundertprozentige Tochterfirma von Siemens. Damit trat folgende Veränderung ein: die Siemens AG selber hatte nur noch 41% der Aktienanteile, 29% waren jetzt in den Händen der SEN und weiterhin 30% in denen der Nationalbank. Also kurz gesagt übertrug Siemens 29% der Anteile der Tochterfirma.

Siemens plante, diese Tochterfirma, also die gesamte Sparte SEN zu verkaufen. Das war in meinen Augen das Fatale! Es scheint mir ein großer Fehler zu sein, diesen Bereich billig verkaufen zu wollen. Wobei ich denke, dass Siemens gewissermaßen zu diesem Schritt gezwungen war. Eine wichtige Rolle spielte dabei der internationale Korruptionsskandal bei Siemens. Zur Erinnerung, im November 2006 haben Staatsanwaltschaft und Polizei die Firmenzentrale von Siemens durchsucht. Dieser Skandal hatte bereits im Herbst 2005 begonnen, als sich herausstellte, das Siemens ein Konto in Lichtenstein unterhält.

Letztendlich bin ich der Meinung, dass die New York Stock Exchange Comerce Siemens zu dem Verkauf dieser Sparte gezwungen hat. Siemens ist 2001 dem New York Stock Exchange beigetreten. Die Aktien von Siemens sind dort.

Bereits in den 1990er Jahren hat Siemens der US-amerikanischen General Electric einen sehr aggressiven Konkurrenzkampf geliefert. 60% der Infrastruktur der Telekommunikation in den USA und in Kanada sind im Besitz von Siemens. Das umfasst auch Ampeln, Schienensysteme und 50% der Air Aviation. Siemens spielt also für den Markt in USA/Kanada eine sehr große Rolle. Auch bei der Innovation grüner Energie (green energy) nimmt Siemens einen wichtigen Platz ein. Wir können also sagen, dass ein Grund für dieses Outsourcing die internationale Konkurrenz war. Siemens war aufgrund des Bestechungsskandals und der aggressiven Konkurrenz gegen General Electric gezwungen, sich aus dem Telekommunikationsgeschäft zu verabschieden. Diese endlose und erbarmungslose Konkurrenz zeigt die ganze Bestialität des Kapitalismus, denn Kapitalismus ist ohne Konkurrenz undenkbar. Natürlich verliert nicht Siemens etwas in diesem Konkurrenzkampf und seinen Folgen, sondern die Siemens-Arbeiter.


Am Anfang sprach Siemens noch von einem möglichen Verkauf der Fabrik. Stand ein Verkauf für Siemens ernsthaft zur Debatte?

Im Februar 2008 kam wie gesagt die Information, dass die Fabrik entweder verkauft oder geschlossen werden soll. Aber es war von Anfang an klar, dass ein Verkauf nicht gewünscht wurde, dass war nur eine Scheinlösung. Das lokale Management wurde damit beauftragt, einen Käufer zu finden. Mir persönlich wurde diese Aufgabe gegeben. Das ist allein schon eine Schande und keineswegs üblich, dass der Verkauf einer so modernen Fabrik den Leuten vor Ort überlassen wird. Ich habe sogar 2 potentiale Käufer gefunden, aber es wurden keine Schritte in Richtung Verkauf unternommen. Das zeigt, dass Siemens in Wahrheit gar kein Interesse daran hat.

Am 19. September kamen dann leitende Manager von Siemens auf die Generalvollversammlung des Betriebs und verkündeten dort die Schließung. Wir wussten zwar vor nichts genaues, aber wir hatten schon etwas geahnt und auch jemanden zu der Versammlung eingeladen. Man teilte uns mit, sie hätten mit möglichen Investoren gesprochen und leider niemand gefunden, der interessiert ist. Obwohl es zwei Interessenten gab haben sie das behauptet.

Sie haben den lokalen Direktoren das Wort erteilt und ich habe dem (von außen gekommenen) Manager Fragen gestellt. Aber er hat nur Unsinn geredet und zum Beispiel behauptet, es wäre nicht der Beschluss von Siemens, die Fabrik zu schließen. Das ist auch so eine Unverschämtheit, mit der Siemens sich um die Verantwortung drücken will. Ich will das kurz erläutern: Im Juni hat die Griechische Nationalbank in aller Stille ihre Aktienanteile an Siemens verkauft! Die Nationalbank selber ist auch nicht mehr komplett staatlich, nur noch 36% sind in Staatshänden. Also gehörte die Fabrik nur noch Siemens und der Tochterfirma. Am 10. September haben die Aktionäre auf der Aktionärsversammlung beschlossen, die Fabrik zu schließen. Am 29. Juli hatte die Aktionärsversammlung bereits beschlossen, 51% der Tochtergesellschaft zum 30. September an den US-Fond Gores zu verkaufen. Also wurden 51% verkauft und 49% blieben im Besitz der Siemens AG. Aber bis zum 19. September (dem Tag, als die Schließung verkündet wurde) waren 71% in den Händen der Siemens AG. Es ist also falsch, wenn sie behaupten die Schließung wäre kein Beschluss von Siemens.

Ab dem 01. Oktober gab es dann die „neue SEN“, also jetzt gehörten 51% der Tochterfirma, zu der auch die Fabrik in Thessaloniki gehört, dem US-Investor Gores. Heute sagt Siemens, sie könnten nichts machen, die Fabrik gehöre ja nicht mehr ihnen, sondern Gores. Demzufolge sei Gores verantwortlich für die Schließung.


Für wann droht dem Werk in Thessaloniki die Schließung?

Die Schließung ist für April 2009 geplant. Am 31.10 sollten bereits 145 Arbeiter entlassen werden und die letzten 80 im April 2009. Was wirklich unglaublich ist, dass keinerlei Sozialplan abgeschlossen wurde. Es wurde noch nicht einmal darüber geredet! In der Tschechischen Republik und in Deutschland werden Sozialpläne bei Siemens gemacht, hier aber nicht. Die wollen uns verarschen!


Gab es Versuche von Siemens, den legitimen Widerstand gegen die Schließung der Fabrik rechtlich anzugreifen?

Ja, allerdings. Die Firmenleitung hat uns vor Gericht angezeigt indem sie behauptete, der Streik wäre illegal und missbräuchlich. Aber manchmal funktioniert in der „Demokratie“ anscheinend doch noch etwas und wir haben den Prozess tatsächlich gewonnen. Das lokale Gericht erklärte im Urteil, dass der Streik weder illegal noch missbräuchlich ist. Die Begründung im Urteil ist, dass Siemens 231 Leute entlassen will, keinen Sozialplan aufstellt und die Fabrik profitabel ist, also keine roten Zahlen schreibt. Das Gericht vertrat, dass eine Massenentlassung von 231 Arbeitern in einer profitablen Produktionsstätte abzulehnen und nicht der Streik, sondern dieses Vorgehen als Missbrauch zu bezeichnen sei. Das war ein wichtiger Sieg für uns.


Hat es bereits Verhandlungen mit Siemens gegeben? Ist eine Einigung durch Verhandlungen abzusehen?

Die Verhandlungen begannen wie das Gesetz es vorschreibt. Vom 08.-27.10 war die erste gesetzliche Verhandlungsfrist von 20 Tagen. Es wurde aber keine Einigung erzielt. Siemens hat sich wahrlich großzügig gezeigt und 20% über dem gesetzlichen Minimum angeboten. Allerdings muss man sich angucken, was das konkret heißt! Angestellte verdienen hier etwa 1500 € monatlich, wenn sie mindestens 4 Jahre hier gearbeitet haben bekommen sie 2 Monatslöhne als Abfindung. Arbeiter bekommen noch weniger.

Im Allgemeinen sind hier die Abfindungen für Arbeiter schrecklich niedrig. Wenn jemand 4 Jahre gearbeitet hat erhält er 15 Tageslöhne! Das sind bei einem durchschnittlichem Tagesverdienst von 50 € insgesamt 750 €. Siemens Angebot war +20 mal Faktor 1,2, das sind letzteendlich auch nur 150 Euro mehr.

Wir wollen die Schließung verhindern, aber wenn uns das nicht gelingen sollte fordern wir zumindest eine Abfindung, mit der man eine gewisse Zeit überbrücken kann, von der man eine weile leben kann, mindestens 2-3 Jahre.

Nachdem die Verhandlungen gescheitert sind haben wir vom Staat verlangt, dass die Verhandlungen verlängert werden. Höchstwahrscheinlich werden wir das auch erreichen und es wird zu einer zweiten Verhandlungsrunde kommen.


Was sind die Hauptforderungen des Streiks?

Unsere Hauptforderung ist die Rücknahme des Schließungsbeschlusses. Unsere 2. Forderung ist, dass Siemens gemeinsam mit der Regierung über Möglichkeiten berät, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Ende Oktober, also schon während dem Streik, kam ein potentieller Investor zusammen mit dem Generalsekretär vom Industrieministerium zu uns in den Betrieb. Das Ministerium wollte uns wohl beweisen, wie sehr man sich um einen Investor bemüht. Allerdings denke ich, dass ein ernstes Interesse sehr unwahrscheinlich ist. Höchstwahrscheinlich ist das nur ein Manöver der Regierung, um den Streik zu beenden.

Nehmen wir an, dieser Schritt (einen Käufer zu finden) geht wirklich in die Richtung unserer 2. Forderung. Wenn sie jetzt den Entschluss, die Fabrik zu schließen zurücknehmen, haben wir den Streik gewonnen und werden wieder arbeiten.


Vom ersten Tag an hat die Siemens-Belegschaft sich gegen die drohende Schließung gewehrt. Was für Protestformen habt ihr eingesetzt?

Vom ersten Tag an, also ab dem 20. September haben selbst die Direktoren hier sich an dem Widerstand beteiligt. Viele politische Parteien und Gruppen haben die besetzte Fabrik besucht, aber die meisten sind nur gekommen, um Interesse zu zeigen, nicht, um wirklich etwas zu tun. Parteien wie PASOK und KKE haben auch Anfragen im Parlament gestellt. Aber im Grunde genommen haben uns nur zwei Organisationen wirklich tatkräftig unterstützt, das waren KOE und die KKE. Auch von den Gewerkschaften gab es eine gewisse Unterstützung.

Wir haben einmal einen Protest in Athen organisiert, am 02.10.2008 sind wir zu der Landeszentrale von Siemens demonstriert. Wir sind alle gemeinsam nach Athen gefahren und haben gefordert, dass der Wirtschaftsminister mit uns spricht. Es kam auch eine Delegation zustande, daran waren der Vorsitzende der Gewerkschaftsföderation sowie der Vorsitzende aus Thessaloniki und Abgeordnete von PASOK, KKE und CYRIZA beteiligt. Allerdings war der Minister nicht da, die Delegation konnte nur mit jemanden sprechen, der von nichts eine Ahnung hatte. Wir können wirklich sagen, dass diese Regierung die wir momentan haben die lächerlichste seit dem 2. Weltkrieg ist. Die Regierung kümmert sich wirklich um gar nichts.

Außerdem haben wir mehrere Demonstrationen und Straßenblockaden in Thessaloniki organisiert, eine große Demonstration fand hier am 09.10.2008 statt. Außerdem waren wir beim Bürgermeister und haben auch vor der deutschen Botschaft protestiert. Es gab auch Proteste vor der Griechischen Nationalbank. Unterstützer der Streiks und KOE haben eine DVD über unseren Widerstand erstellt und ein Plakat gedruckt, das überall in der Stadt Thessaloniki aufgehängt wurde.

Wenn Siemens so weiter macht wird das auch Folgen für Deutschland haben! Wenn die Fabrik hier tatsächlich geschlossen wird wirkt sich das auch auf Siemens in Deutschland aus, denn wir exportieren den Großteil der Produkte nach Deutschland.

Eine weitere wichtige Protestform ist eine Unterschriftensammlung, die wir gestartet haben. Das ist vielleicht sogar eine der wichtigsten Widerstandsformen bis jetzt. Wir haben zurzeit etwa 19.000 Unterschriften gegen die Schließung der Fabrik gesammelt. Diese Unterschriften werden wir dem Chef der Präfektur und dem Arbeitsministerium mit der Forderung übergeben, der Schließung und den Massenentlassungen nicht zuzustimmen. Das ist so: Normalerweise ist gesetzlich festgelegt, dass nur 2 % der Belegschaft entlassen werden können, wenn keine besonderen Gründe für Massenentlassungen vorliegen. Deswegen wurde von Siemens ein Zeitplan vorgelegt. Jetzt gehen wir in die zweite Runde der Verhandlungen. Wenn auch diese Verhandlungen scheitern, wird die Angelegenheit dem Chef der Präfektur übergeben. Dann gibt es drei Optionen, zwischen denen dieser entscheiden kann:

1. Das von Siemens entworfene Schema befürworten

2. Das Schema ablehnen

3) Die Entscheidung an das Ministerium weiterleiten.

Die Erklärung, für die wir die Unterschriften sammeln, fordert, dass der Präfekt das Schema ablehnt und Nein zur Schließung zu sagt.

Siemens wollte keine Verlängerung der Verhandlungen, wir haben das gefordert und uns durchgesetzt. Falls die Verhandlungen wieder zu keinem Ergebnis führen und die Präfektur das Schema von Siemens ablehnt, muss Siemens die Angelegenheit innerhalb von 2-3 Monaten vor das Oberste Gericht bringen, welches dann entscheidet.


Hat es auch internationale Unterstützung gegeben?

Ja, hat es. Die Europäische Föderation der Metallarbeiter (EFMW) mit Hauptsitz in Brüssel hat sich mit uns solidarisiert. Auch die IG Metall aus Deutschland hat viel Interesse gezeigt. Alle Siemens-Gewerkschaften wurden von uns informiert. In der Tschechischen Republik gab es ein ganz ähnliches Problem, von den Kollegen dort haben wir sehr viel Unterstützung erfahren. Am Dienstag (04.11) fliege ich nach Prag, um mich dort mit den Kollegen zu treffen und auszutauschen. Es ist wichtig, sich zu treffen und gegenseitig von den Erfahrungen zu lernen, so können wir die Solidarität stärken.

Wir haben auch eine große Anzahl von schriftlichen Solidaritätsbotschaften erhalten, darunter von Vereinen, und sogar vom Bürgermeister und der Präfektur (wenn auch nicht vom Chef der Präfektur).


Welche Auswirkungen hat die weltweite ökonomische Krise auf die Arbeiter in Griechenland und insbesondere in Thessaloniki?

Im Verlauf der sich immer mehr verschärfenden Krise wird die Arbeitslosigkeit weiter steigern. Schon heute sind offiziell 8,6% arbeitslos, aber diese offiziellen Zahlen sind lächerlich! Alle Leute mit befristeten Verträgen und Teilzeitbeschäftigte sind natürlich nicht darin enthalten. Außerdem erhält der griechische Staat EU-Subventionen, mit diesen Geldern werden dreimonatige Programme finanziert, die von teils staatlich teils privaten Trägern durchgeführt werden, und wo die Leute für 3 Monate eingestellt, also regelrecht „geparkt“ werden, damit sie nicht mehr in den Statistiken auftauchen.

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