Wird Siemens von Löscher zerschlagen?
Seit etwas mehr als einem Jahr ist Peter Löscher neuer Vorstandsvorsitzender der Siemens AG und setzt eine Aktion gegen die ArbeitnehmerInnen nach der anderen. Löscher hat schon in seiner früheren beruflichen Tätigkeit an der Zerschlagung eines anderen Konzerns, der deutschen Hoechst AG, maßgeblich mitgewirkt. Anhand seines Lebenslaufes in beiden Konzernen versuchen wir im folgenden Bericht, die Unternehmensstrategien offenzulegen, die dieser Zerschlagung zugrundelagen. Wir hoffen, damit einen Beitrag zum besseren Verständnis der aktuellen Vorgänge bei Siemens zu leisten. Möge der folgende Bericht auch die Beantwortung der Titel-Frage erleichtern und ermöglichen, aus der Geschichte der Hoechst-Zerschlagung im Interesse der ArbeitnehmerInnen zu lernen.
Firmenphilosophie von Finanzmanagern
"In den 1990er Jahren haben Finanzanalysten begonnen, Firmen darauf zu drängen, sich von allen Geschäften zu trennen, welche nicht zum 'Kerngeschäft' gehören. Konglomerate nach Art der Hoechst AG waren in der Gunst von Investoren nicht länger opportun." So beginnt der promovierte Chemiker und Leiter der Bayer-Forschungsplanung, Hauke Fürstenwerth, seinen Beitrag über die Zerschlagung der Hoechst AG.
Dass diese Firmenphilosophie von Finanzmanagern noch heute brandaktuell ist, dokumentiert folgendes Zitat von Vikram Pandit, Chef der US-Bank Citigroup aus dem Handelsblatt :
Alles, das wie ein Konglomerat riecht, wird abgestoßen. Wir lösen uns von unseren Hobbies und konzentrieren uns auf die Kernkompetenzen.
Peter Löschers Tätigkeiten im Management: ...
Peter Löscher verbrachte bisher die meiste Zeit (1987 – 1999) seines beruflichen Werdegangs als Abteilungsleiter im seinerzeit (1994) sechstgrößten Industrieunternehmen in Deutschland, der Hoechst AG.
Seit 1.7.2008 ist er Vorstandsvorsitzender des Weltkonzerns Siemens AG.
Konzentration auf das Kerngeschäft
Sein Handwerk lernte Löscher bei Hoechst, wo er unter dem Vorstandsvorsitzenden Jürgen Dormann bis zum Herausfallen der Hoechst-Aktie aus dem DAX (1999) den radikalen Umbau vom breit aufgestellten Chemie-Konzern mit 15 Geschäftsbereichen zum schmal aufgestellten so genannten "Life-Science"-Konzern entscheidend mitbetrieben hat. Dieser sollte sich auf nur mehr sieben Geschäftsgebiete in Pharma und Landwirtschaft konzentrieren.
Auch bei Siemens gilt: Wir werden weiter eine fokussierte Portfoliopolitik betreiben meinte Löscher zu Heise. Der Aufsichtsrat hat dementsprechend am 29. November 2007 die Konzentration von zwölf auf drei Kerngeschäftgebiete Industrie, Energie und Gesundheit als neue Konzernstruktur von Siemens beschlossen.
Zerlegen und Abreißen
Als Folge der Konzentration auf das Life-Science-Geschäft trennte sich Hoechst von allen Geschäftsaktivitäten, in denen man nicht zu den drei führenden Anbietern in Europa, Asien und Amerika zählte. Außerdem verlangte die Konzernführung im Jahre 1994 erstmals öffentlich ein Renditeziel von mindestens 15%. Als Stratege und Planer des Umbaus war laut Compliance-Magazin wieder Löscher „maßgeblich daran beteiligt, das Chemie- und Pharma-Unternehmen Hoechst (dementsprechend) in seine Bestandteile zu zerlegen. Viele Gewerkschafter haben ihn ungut als Abrissbirne in Erinnerung.“
Auch als Siemens-Chef scheint Peter Löscher laut Wirtschaftswoche die Aufsplittung des Konzerns in drei weitgehend autonome, weltweit agierende "Unternehmen" für Industrie, Energie und Gesundheit voranzutreiben. Auf der Siemens Business Conference 2008 bezeichnete er die drei Siemens-"Sektoren" nur noch als "Unternehmen": In 2008 werden großartige "Unternehmen" Top-Leistung bringen. Großartige "Unternehmen" bringen Top-Leistung in schwierigem Markt-Umfeld. Alle übergreifenden Bereiche wie z.B. die Zentralabteilung „Corporate Technology“ (CT), die bisher für die Geschäftsbereiche strategisch wichtige Kerntechnologien entwickelt hat, die Software-Schmiede "Siemens IT Solutions and Services (SIS) PSE", die gemeinsame Vertriebsorganisation ("Siemens ONE") oder Siemens Financial Services (SFS) befinden sich derzeit mehr oder weniger auf dem Prüfstand , im Zustand der "Verschlankung" oder Auflösung. Darüberhinaus wird alles, was nicht in die drei Kerngeschäftsgebiete passt oder zu ihren hohen Renditezielen zwischen 9 und 17% beiträgt wie zum Beispiel die Telekommunikation von SEN und SHC, die Computer-Fertigung von Fujitsu-Siemens (FSC) oder der Autozulieferer VDO an Finanzinvestoren, die eigenen Manager oder Mitbewerber verkauft. Der Zentralbetriebsrat Fritz Hagl von Siemens Österreich bezeichnete diese Geschäftspolitik in die presse als "Tod auf Raten", weil die im Konzern verbleibenden Teile bald zu klein sein werden, um die hinauf geschraubten Gewinnmargen zu erwirtschaften.
Orientierung am Kapitalmarkt
Schon in Löschers Berufsleben bei Hoechst spielte die (Aktien-)Kapitalmarktorientierung eine große Rolle: So hatte er laut Focus-Money von 1997 bis 2000 die Position eines Projektleiters für das Listing der Hoechst-Aktie an der New Yorker Börse inne.
Bereits kurz nach seinem Amtsantritt stellte er auch bei Siemens klar, dass er mindestens so ungeduldig und auch so kapitalmarktorientiert ist wie sein Vorgänger Kleinfeld. Im November 2007 kündigte Siemens laut Welt einen Aktienrückkauf für bis zu zehn Milliarden Euro an. Der Großteil des Erlöses aus dem Verkauf der VDO an Continental sollte damit indirekt den Aktionären zu fließen.
Drücken auf's Tempo
Speed, speed, speed, war laut Tagesspiegel Löschers Motto schon bei Hoechst.
Auch seine 1100 Top-Manager auf der Siemens Business Conference in Berlin (14.-17. Oktober 2008) ließ er wissen: Wir machen das Geschäft mit Leidenschaft, mit gemeinsamer Verantwortlichkeit und mit Geschwindigkeit – with speed, speed. I expect from you speed, speed, speed, speed!
… und die Folgen: Einbruch des Kerngeschäfts
Laut Hoechst-Vorstandsmitglied Dr. Karl-Gerhard Seifert in CHEManager und Wikipedia Hoechst waren die Folgen der Tätigkeiten von Jürgen Dormann und Peter Löscher bei Hoechst, dass die großen Filetstücke des Konzerns, nämlich das Chemie- und das Landwirtschaftsgeschäft an den Chemie-Multi Clariant bzw. Bayer verkauft wurden. Während sich die verkauften Bereiche meistens sehr erfolgreich unter den neuen Firmen-Dächern weiterentwickelten, brach das Ergebnis des letzten bei Hoechst verbliebenen Pharma-Kerngeschäfts im Jahre 1998 empfindlich ein.
Bei Siemens zeichnen sich laut Zeit Online derzeit ebenfalls dunkle Wolken über Löschers Kerngeschäftspolitik ab: Für den Sektor Industrie sagen Analysten einen Einbruch bei den Neuaufträgen voraus; auch strategische Investitionsentscheidungen im Infrastrukturgeschäft der Division Bahntechnik sowie der Sektoren Energie und Gesundheit dürften vor dem Hintergrund eines schwierigeren Finanzierungsumfeldes aufgeschoben werden, schreibt Stock World. Siemens hat sich offenbar von seinen ursprünglichen Gewinnerwartungen verabschiedet. Auf der Siemens Business Conference kommentierte Industrie CEO Heinrich Hiesinger das mit den Worten: Der Abschwung ist Wirklichkeit, Kollegen! Und Energie CEO Wolfgang Dehn fügte hinzu: Die Zeiten werden schwieriger, wunderbar! Das ist Gelegenheit, uns von den anderen (Mitbewerbern) zu unterscheiden.
Finanzinvestoren und Mitbewerber profitieren
Die anderen kleineren, vielfach sehr erfolgreichen Teile des einst bedeutenden Hoechst-Konzerns wurden laut Hoechst-Vorstandsmitglied Dr. Karl-Gerhard Seifert in CHEManager entweder an Private Equity Fonds (Finanzinvestoren) wie Platinum Equity, Blackstone, Allianz oder Goldmann Sachs verkauft (und von diesen mit Gewinn weiter verkauft) oder an Mitbewerber wie Dupont, BASF, Shell oder Allessa veräußert. Weiters landete die Hoechster Zentralforschung mit seinen zahlreichen Innovationen bei Siemens, die Ergebnisse der Supraleiterforschung bei Alcatel, die IT-Abteilung bei HP, das Arbeitsgebiet der Hochtemperaturmembranen für Brennstoffzellen mit über 100 Patenten bei BASF und schließlich der Immobilienbestand bei der Deutschen Bank.
Auch bei Siemens werden sicherlich durch den Ausverkauf von Nebengeschäften einige Finanzinvestoren und Mitbewerber profitieren wie z.B. The Gores Group (SEN), Arques Industries (SHC), Fujitsu (FSC) oder Conti (VDO).
Restrukturierung und Belegschaftsproteste
Natürlich blieben die Folgen der Unternehmensstrategen von Hoechst bei der Belegschaft nicht ohne Wirkung: Ein wegen der Einbrüche im Pharma-Kerngeschäft gestartetes Restrukturierungsprojekt in der Pharmaforschung – 600 der 1800 Stellen sollten am Standort Höchst gestrichen werden - löste laut Zeit erhebliche Proteste in der Belegschaft aus. Im Mai 1998 demonstrierten 8000 Laboranten, Bürokräfte aber auch viele Führungskräfte und solidarische Pensionisten gegen den geplanten Personalabbau vor dem Werkstor im Höchster Industriepark. Der Unmut von Beschäftigten und Führungskräften der Pharmaforschung mündete sogar in regelmäßige öffentliche "Montagsdemonstrationen". Insgesamt sank laut Wikipedia von 1995 bis Ende 1998 die Mitarbeiterzahl im Hoechst-Konzern von 170.000 auf 100.000. Der geplante Börsegang der Pharmasparte wurde abgesagt. Stattdessen ging Hoechst 1998 in einer Fusion mit Rhone-Poulenc in Aventis auf, die wiederum 2004 mit Sanofi-Synthelabo zu Sanofi-Aventis fusionierte.
Aber auch bei Siemens regt sich langsam aber sicher der Unmut und Widerstand gegen die Um- und Re- Strukturierungspolitik des Konzerns. Schließlich sollen laut die presse vom 27.08.2008 und die presse vom 13.03.2008 bis 2010 rund 17.000 von den weltweit 430.000 Siemens-MitarbeiterInnen (2008) eingespart (SG&A)und tausende verkauft (non-group activities) werden. So herrschte etwa im österreichischen Elektronikwerk SIMEA eine Explosive Stimmung unter den KollegInnen wegen des geplanten Verkaufs des Werkes im Rahmen eines Management Buyouts. Und die österreichischen SIS PSE-KollegInnen rüsten am 6.11.2008 zu einem Marsch für die Zukunft der Siemens-PSE, denn sie befürchten die Zerschlagung ihres Bereiches und in der Folge massiven Personalabbau.
Fazit
Ob Siemens ebenfalls den Kapitalmarktstrategien von Löscher innerhalb weniger Jahre zum Opfer fallen wird, muss nach den dargestellten Erfahrungen bei Hoechst und den Ähnlichkeiten bei Siemens zumindest befürchtet werden. Löscher stellt dies zwar laut Der Tagesspiegel vom 27.05.2007 in Abrede: Es werde keinen Kahlschlag geben. Aber die Umsetzung seines Personaleinsparprogramms SG&A und seiner Verkaufsabsichten sektorübergreifender Aktivitäten (non-group-activities) lassen Zweifel daran aufkommen.
Daher gilt es aus den Erfahrungen bei Hoechst zu lernen und einer drohenden Zerschlagung auf Kosten der Beschäftigten frühzeitig und öffentlichkeitswirksam entgegenzutreten.
Dieses Thema wurde auch in dem Flugblatt angeschnitten, welches am 6.11. verteilt wurde. Warum wurde dieses nicht auf "NetLeiwand" veröffentlicht?
Ich bin mir nicht sicher, ob allen Betroffenen der Ernst der Lage wirklich bewusst ist. Es betrifft nicht nur das Fußvolk, es sind genauso das untere Management und der Betriebsrat betroffen. Wenn es keine PSE mehr gibt, dann wird man z.B. auch keinen PSE-Betriebsrat mehr benötigen.